Hast du einen eigenen Zeichenstil?
In meinen Kursen begegnen mir immer wieder Zeichnerinnen, die sich den Kopf zerbrechen: „Wie finde ich bloß meinen eigenen Stil?“ Als gäbe es irgendwo eine geheime Anleitung oder einen magischen Moment, in dem alles klick macht. Leider (oder zum Glück) funktioniert das so nicht.
Was ist eigentlich ein eigener Stil?
Dein Stil ist deine persönliche Handschrift beim Zeichnen – die Art, wie du Linien setzt, Farben kombinierst oder Figuren gestaltest. Er macht deine Bilder unverwechselbar, selbst wenn du dich gar nicht bewusst darum bemühst. Aber kein Künstler kommt mit einem fertigen Stil auf die Welt. Der eigene Stil ist nichts, das man sich aussuchen oder von heute auf morgen festlegen kann. Er entwickelt sich – und zwar mit dir. Aber keine Sorge, du musst ihn nicht krampfhaft suchen. Wahrscheinlich hast du ihn längst, ohne es zu merken. Stil entsteht durch Erfahrungen, Vorlieben, Einflüsse und natürlich jede Menge Übung. Und er bleibt nicht immer gleich: Was du heute malst, kann sich in ein paar Jahren ganz anders anfühlen.
Denk mal zurück an deine ersten Zeichnungen. Vielleicht waren das Comicfiguren, wilde Kritzeleien oder Kopien aus einem Buch. Hat das noch irgendwas mit dem zu tun, was du heute machst? Vermutlich nicht. Dein Stil hat sich also längst verändert – und wird sich weiterentwickeln.
Wie kommen Künstler zu ihrem eigenen Stil?
Viele glauben, man müsse sich einfach nur bewusst für einen Stil entscheiden. So wie man sich morgens überlegt, ob man Jeans oder Kleid trägt. Tatsächlich läuft es aber eher so:
- Einflüsse sammeln – Jeder Künstler hat Vorbilder. Die ersten eigenen Arbeiten sind oft eine Mischung aus verschiedenen Inspirationen. Das ist völlig normal! Picasso begann mit impressionistischen Werken, bevor er seinen Weg zum Kubismus fand. Und deine Lieblingsillustratorin hat sicher auch nicht von Anfang an so gezeichnet, wie sie es heute tut.
- Üben, üben, üben – Klingt unspektakulär, ist aber der Schlüssel. Dein Stil entsteht nicht durchs Nachdenken, sondern durchs Machen. Je mehr du zeichnest, desto mehr erkennst du Muster: Welche Linien setzt du immer wieder? Welche Farben nutzt du automatisch? Welche Motive liegen dir besonders?
- Loslassen und annehmen – Der schwierigste Teil: Viele suchen so angestrengt nach ihrem Stil, dass sie gar nicht merken, dass er längst da ist. Was von selbst immer wieder in deinen Zeichnungen auftaucht – das bist du.
- Sich weiterentwickeln – Stil bedeutet nicht, sich auf eine Sache festzulegen und dabei zu bleiben. Gute Künstlerinnen bleiben neugierig, probieren Neues aus und lassen ihren Stil mit ihnen wachsen. Heute magst du klare Linien und reduzierte Farben, in ein paar Jahren vielleicht ausladende Pinselstriche und wilde Kontraste.
Schließe Frieden mit deinem Stil
Vielleicht ist es an der Zeit, mit deinem eigenen Stil Frieden zu schließen – so wie er war, so wie er ist und so, wie er sich noch entwickeln wird. Denn genauso wie du dich als Mensch veränderst, tut es dein Stil auch.
Und wenn du eines Tages auf deine heutigen Werke zurückblickst, wirst du sehen, dass alles, was du getan hast – jede Skizze, jede missglückte Zeichnung, jede Phase, in der du dachtest, du würdest deinen Stil nie finden – genau das war, was dich dorthin gebracht hat, wo du dann sein wirst.
Also: weniger Grübeln, mehr Zeichnen!
Viel Spaß und Happy Sketching – Annette
